Menschenbild im Islam
Der Mensch erhält seine Ehre und Würde direkt aus seiner Geschöpflichkeit und den besonderen Anlagen, die ALLAH, der ERHABENE, in ihn gelegt hat.
Der Mensch ist gleichzeitig schwach und stark: stark weil er große Fähigkeiten hat, die wir so nicht von anderen Geschöpfen kennen und schwach, weil er jederzeit fähig ist, diese Anlagen zu missbrauchen und sich und anderen Schaden zuzufügen.
Groß macht den Menschen seine Funktion als Kalifa auf der Erde – als ein Geschöpf, das in ununterbrochener Aufeinanderfolge der Geschlechter sich über die Erde verbreitet, um seinen Schöpfungsauftrag zu erfüllen. Die Weitergabe des Wissens und das Aufeinander-Angewiesen-Sein der Menschen untereinander macht den Menschen stark, sie zeigt aber auch seine Verwundbarkeit und dass der Mensch als egoistisches Individuum, das losgelöst von Familie und Gemeinschaft auszukommen sucht, zum Scheitern verurteilt ist. Ohne Generationenfolge und die Weitergabe des Wissens, kann er sich kaum in der Natur behaupten.
Durch ein Leben in den Grenzen, die vom SCHÖPFER vorgegeben sind, wird der Mensch nicht versklavt, sondern kann sein volles Potential überhaupt erst ausschöpfen.
Dieses Menschenbild, das Muslime der unterschiedlichsten Herkunft verbindet, kann nur durch umfassende Bildung verwirklicht werden. Es ist ein Bildungsauftrag, der Wissensvermittlung nicht nur als einseitigen Prozess vom Lehrer zum Schüler versteht, sondern lebenslanges Lernen erfordert: durch Erfahrung, Über- und Umdenken, durch Überschreitung eingefahrener Denkmuster, um der Vielfältigkeit der Aufgaben des Menschen in dieser Schöpfung gerecht zu werden. Wissen ohne entsprechendes Handeln ist nicht nur die Hälfte wert, sondern kann sogar schädlich werden, da es eine Entwertung des Wissens darstellt. Wissen kann nicht nur am Leitbild der Gewinnmaximierung und der Nützlichkeit für die Gesellschaft gemessen werden. Guter Charakter und ein in sich ruhender, selbstbewusster Mensch zu sein, der sich von oberflächlichen Urteilen fernhält und auch als Vorbild wirkt, muss von allen islamischen Pädagogen angestrebt werden.
Islamische Bildung von heute sollte umfassen:
Persönlichkeitsbildung (Achlaq "Vorbildliches Verhalten" )
- Ehrfurcht vor allem Lebendigen, dessen Teil wir sind
- Verantwortungsbewusstsein für Natur und Umwelt
- Kompromiss- und Friedensfähigkeit
- politische Kompetenz
- Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft
- selbstbestimmtes Handeln, Urteils- und Kritikfähigkeit
- Kreativität und Selbstbeherrschung
- Anteilnahme am kulturellen Leben und an künstlerischer Betätigung
- Aufgeschlossenheit für die Sphären des Wahren, Guten und Schönen (spirituell, kulturell)
- Gesundheitsbewusstsein und entsprechende Körperpflege, Sportlichkeit
- mannigfache Fähigkeiten der Lebens- und Alltagsbewältigung einschließlich praktischen und für das Arbeitsleben qualifizierenden Könnens sowie der Beherrschung elementarer Kulturtechniken
- Toleranz, besonders als Achtung vor der Individualität und Überzeugung des Anderen
- Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft, Gerechtigkeitssinn und Fähigkeit zu solidarischem Handeln
- Stärke und Schwäche
Eine Pädagogik auf Grundlage von Islam muss die Entwicklung eines gesunden Selbstbewusstseins mit der Vermittlung der Werte „Bescheidenheit“ und „Schutz vor Selbstüberschätzung“ verbinden. Direkt folgt daraus auch der Respekt vor der Schöpfung: Nicht primär, weil wir aus der Natur Nutzen ziehen, sondern, weil sie ein aufgeschlagenes Buch des Schöpfers darstellt, dem mit Respekt zu begegnen ist. Intellektuelle Überlegenheit des Menschen erlaubt diesem keine Unterdrückung – ganz im Gegenteil: Hilfsbereitschaft und Mitfühlen werden von ihm erwartet.
Generationenfolge und die Weitergabe des Wissens
Hieraus die zentrale Bedeutung von Familie als Ort der Primärsozialisation. Der Wert des Wissens wird bereits in den ersten beiden Versen betont, welche dem Propheten Muhammad (Friede und Segen sei auf ihm) geoffenbart wurden: „Lies, im Namen deines Herren, der erschuf – erschuf den Menschen aus einem Alaq "Etwas, das sich anklammert, „Anhängsel“, „sich Einnistendes“" “. Dies beinhaltet die Bedeutung des Lesens: des geoffenbarten Qurans und des „Buches der Schöpfung“. Beide Lesungen müssen miteinander in Einklang und Harmonie gebracht werden. Weiterhin verweisen die Verse auf die schwache Herkunft des Wesens Mensch: aus einem Alaq, das im Körper seiner Mutter durch den SCHÖPFER geformt wurde, und das sich in Abhängigkeit von seinem SCHÖPFER entwickelt. Damit ist die zentrale Bedeutung von Familie, Mutterschaft und Verwandtschaft bereits zu Beginn der Quran-Offenbarung herausgestellt.
Taqwa
Aus dem Primat der Taqwa folgt der Einsatz des Muslims gegen jegliche Form von Rassismus oder Versuche, Menschen in „wertvolleres“ und „weniger wertvolles“ Leben einzuteilen. Islamische Erziehung muss sich daher mit Mitgefühl für Benachteiligte und Hilfe gegenüber Menschen mit jedweder Form von Behinderung auseinandersetzen. Dies widerspricht diametral jeder Vergötzung von Stärke, Schönheit und Erfolg, wie sie für den Menschen eine ständige Verführung darstellt.